Geologische Tiefenlager in der Schweiz

    «Wir kommen in die Zielgerade»

    Die Nagra ist vom Bund  und den Kernkraftwerkbetreibern beauftragt, radioaktive Abfälle zum Schutz von Mensch und Umwelt sicher und langfristig zu entsorgen. Im Auftrag der Nagra organisiert der Ressortleiter «Eventik», Heinz Sager, Führungen für interessierte Gruppen durch die Felslabors Mont Terri (JU) und Grimsel (BE) und den Auftritt der Nagra bei Gewerbeausstellungen in den Regionen. Dazu gehört, auf die Fragen und Anliegen der Bevölkerung einzugehen.

    (Bilder: Comet Photoshopping) Interview mit Heinz Sager

    Heinz Sager, das Kerngeschäft der Nagra ist es ist, in der Schweiz sichere Standorte für geologische Tiefenlager zu finden. Um welche Abfallmengen handelt es sich da?
    Die Schweiz hat fünf Kernreaktoren. Unter der Annahme, dass diese bis 60 Jahre in Betrieb sind –  und man den Abfall aus Medizin, Industrie und Forschung während dieser Zeit dazu zählt, fallen rund 92‘000 Kubikmeter radioaktiver Abfall an. Bei diesem Volumen ist der Rückbau der Kernkraftwerke bereits eingerechnet. 90 % des Gesamtabfalls sind schwach- und mittelaktive Abfälle (davon kommen Dreiviertel aus den Kernkraftwerken und ein Viertel aus Medizin, Industrie und Forschung), rund 10 % sind hochaktive Abfälle (abgebrannte Brennelemente und Abfälle aus der Wideraufarbeitung).

    Keiner will den radioaktiven Abfall. Von einem Politiker wurde sogar der Vorschlag gemacht, ihn ins Ausland auf eine einsame Insel zu verbannen. Gleichzeitig ist die Nagra vom Bund beauftragt, in der Schweiz sichere Standorte für die Lagerung von schwach- und mittelaktiven  und von hochaktiven Materialien zu finden. Stösst Ihnen viel Ablehnung entgegen?
    Das Schweizer Kernenergiegesetz schreibt vor, dass die Abfälle in der Schweiz in geologischen Tiefenlagern entsorgt werden müssen. Wir setzen also gesetzliche Grundlagen um – das darf man nicht vergessen. In der Schweiz ist das Verantwortungsbewusstsein gross, das erfahren wir immer wieder. Aus Umfragen zum Beispiel wissen wir, dass der allergrösste Teil der Bevölkerung einer Entsorgung im eigenen Land zustimmt und dass es ein Vertrauen gibt, dass das nötige Know-how im Land vorhanden ist, diese Aufgabe unserer Gesellschaft sicher zu lösen. Die Menschen in den Regionen sind natürlich besonders stark an der Frage interessiert, was ein Tiefenlager für die Region und speziell für sie und ihr Lebensumfeld bedeutet.
    Bei der Standortwahl für ein Tiefenlager hat die Sicherheit oberste Priorität. Das ist wichtig und geniesst sowohl in der Politik wie auch in der Gesellschaft breite Zustimmung. Man ist sich einig, dass der am besten geeignete Standort am Ende festgelegt werden soll. An diesem Prinzip will niemand rütteln, auch die Bewohnerinnen und Bewohner der vorgeschlagenen Regionen nicht.

    Die Arbeit in den Felslaboren ist international. Über 10 Nationen beteiligen sich daran.

    Die Nagra sucht seit 1972 nach möglichen Standorten für ein Tiefenlager und forscht in den Felslabors Mont Terri und Grimsel, in denen Wissenschaftler aus aller Welt lernen, wie radioaktive Abfälle langfristig und sicher tiefengelagert werden können. 2005 trat das neue Kernenergiegesetz in Kraft und die Entsorgung radioaktiver Abfälle wurde mit einem «Sachplan geologisches Tiefenlager» umfassend geregelt.
    Im Zuge des Sachplans wurde die Nagra beauftragt, ausgehend von der «weissen Karte der Schweiz» und anhand vom Bund vorgegebener Kriterien, geeignete Standorte für die Endlagerung festzulegen. Wir schlugen im Jahr 2008 aufgrund der geologischen Beschaffenheit die Gebiete Südranden, Zürich Nordost, Nördlich Lägern, Jura Ost, Jura-Südfuss und Wellenberg vor. Alle sechs Gebiete wurden von Behörden und Expertengruppen für geeignet befunden. Im November 2011 hat der Bundesrat per Entscheid alle sechs Gebiete in das Standortwahlverfahren aufgenommen. In Etappe 2 des Sachplanverfahrens schlug die Nagra im Jahr 2015 vor, die Gebiete Jura Ost und Zürich Nordost als Standorte vertieft zu untersuchen, weil sie aus unserer Sicht im direkten Vergleich mit den anderen vier Gebieten am besten geeignet sind. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI empfahl aber dieses Jahr, dass das Gebiet Nördlich Lägern in Etappe 3 ebenfalls weiter untersucht werden soll. Der Bundesrat entscheidet voraussichtlich Ende 2018 darüber, welche Gebiete tatsächlich in Etappe 3 weitergezogen werden. In Etappe 3 werden dann alle verbleibenden Gebiete nochmals vertieft untersucht und miteinander verglichen. Nach heutigem Zeitplan wird die Nagra gegen 2022 bekanntgeben, an welchen Standorten sie Rahmenbewilligungsgesuche für Tiefenlager ausarbeiten wird und ob es zwei Tiefenlager an zwei Standorten geben wird (eines für die hochaktiven Abfälle und eines für die schwach- und mittelaktiven Abfälle) oder ob es ein Kombilager geben wird mit einem oberirdischen Zugang zu zwei getrennten unterirdischen Lagern. Ca. 2024 erfolgt die Einreichung des Rahmenbewilligungsgesuchs, in welchem die Grundzüge des Tiefenlagers und der Standort festgelegt sind. Die Überprüfung dauert rund fünf Jahre, so dass der Bundesrat voraussichtlich 2029 über den definitiven Standort entscheiden kann. Dieser Entscheid untersteht dem Parlament und es gibt die Möglichkeit des fakultativen Referendums. Wir gehen daher davon aus, dass die Schweizer Stimmbürger über den Lagerstandort abstimmen werden.

    Was passiert, wenn aufgrund einer möglichen Abstimmung keine Einigung für den Standort eines Tiefenlagers zustande kommt?
    Dann müsste die Schweiz wohl die radioaktiven Abfälle länger im ZWILAG (Zwischenlager für radioaktive Abfälle in Würenlingen) zwischenlagern. Dort werden sie schon heute in einer sicheren und geschützten Umgebung zusammengeführt, inventarisiert, verarbeitet und auch teilweise schon für die Tiefenlagerung vorbereitet. Das ist aber keine endgültige Lösung. Langfristig ist aus heutiger Sicht und nach heutigem Kenntnisstand nur die Tiefenlagerung sicher. Wir stehen gegenüber zukünftigen Generationen in der Verantwortung, eine Lösung zu realisieren oder zumindest vorzubereiten.

    Das Besucherzentrum des Felslabors Mont Terri in St-Ursanne (JU). Swisstopo und Nagra empfangen jedes Jahr 5‘000 Personen, welche spannende Führungen im Berginnern erleben.

    Warum ist das Gestein Opalinuston, welches Sie im Felslabor Mont Terri detailliert erforschen, besonders geeignet für die Tiefenlagerung von radioaktiven Abfällen?
    Die Forschung unter anderem im Felslabor Mont Terri zeigt, dass es Gesteinsformationen gibt, die Stoffe sehr gut einschliessen können und deshalb geeignet sind, um radioaktive Abfälle lange und sicher einzuschliessen, so dass sie nicht in unseren Lebensraum zurückgelangen können. Der Opalinuston ist wasserundurchlässig. Es geht x-Tausende von Jahren, bis sich Wassermoleküle oder sonstige Stoffe durch das Gestein hindurchbewegen können. Das Gestein hat sich in bestimmten Regionen der Nordschweiz während den vergangenen 175 Millionen Jahren kaum verändert. Es kann davon ausgegangen werden, dass es in den geeigneten Standortgebieten mit grösster Wahrscheinlichkeit auch in der kommenden Million Jahren genauso ruhig daliegen wird.

    Arbeiten Sie mit anderen Ländern zusammen?
    Gerade die Forschung in den Felslabors Grimsel und Mont Terri gehen einher mit intensiver Zusammenarbeit und Know-how Austausch mit 12 Nationen. Dabei gibt es sehr spannende Versuche, die mit einem Besuch in einem der Labors begutachtet werden können. Darüber hinaus tauschen wir uns auch in Bezug auf die Entsorgungsprogramm und den Standortwahlprozess international aus.

    Die Nagra schaut bis zu einer Million Jahre in die Zukunft. Können über einen langen Zeitraum trotzdem noch radioaktive Stoffe in die Atmosphäre oder das Grundwasser gelangen?
    In ganz kleinen Konzentrationen in ferner Zukunft, ja. Es gibt kein absolut dichtes System, weder künstlich noch natürlich. Es werden radioaktive Elemente in sehr geringer Dosis und sehr, sehr langsam vom Lager an die Oberfläche diffundieren. Das bedeutet aber keine Gefahr für die Menschen und ihr Lebensumfeld. Die maximalsten Dosen, die unter schlechtesten Bedingungen unseren Lebensraum erreichen, liegen unter einem Hundertstel der natürlichen, radioaktiven Strahlung, der wir jederzeit ausgesetzt sind. Und sie liegen weit unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte. Das stellt kein Risiko dar.

    Interview: Ursula Burgherr

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